Die Geschichte des Wohnblocks am Alten Markt 10 (Staudenhof)

Der als „Staudenhof“ bezeichnete Wohnblock wurde von Hartwig Ebert, Peter Mylo und Fritz Neuendorf entworfen und auf Grundlage des im VEB (B) Wohnungsbaukombinat Potsdam vorhandenen und für das Gebäude ergänzten Elementesortiments (z.B. Brüstungen) in den Jahren 1971–1972 in industrieller Montagebauweise errichtet (Systemraster 3,60 Meter, schlaff bewehrte Deckenelemente). „Dann hieß es“, wie Hartwig Ebert 2012 erläuterte, „das Wohnhaus soll auch noch etwas schöner aussehen als die Platten.

‚Das muss unverwechselbar sein!’ Da habe ich noch die Fassade erfunden, die jetzt so morbide ist. Da habe ich noch großen Ärger gekriegt, weil unsere Kombinatsleitung sich so geäußert hat: Ich würde sie in den Ruin treiben. In so einem individuellen Bau, da mussten wir so viel erfinden. Und wenn man’s gezeichnet hatte, musste man jemanden suchen, der einem das gebaut hat.“ Das von Kritikern ergo zu Unrecht als „banale Kiste“ bezeichnete Gebäude ist ein Unikat und zeugt von den Herausforderungen, denen sich Architekten mit dem Wunsch nach individuellen Lösungen in der DDR zu stellen hatten.

Das Haus war Teil eines Plans zur Gestaltung des kriegszerstörten und später weitgehend beräumten Geländes nördlich des Alten Markts. Die Aufrechterhaltung des Stadtgrundrisses wurde nach dem Abriss der Stadtschlossruine in den Jahren 1959–1960 aufgegeben. Damit fiel „die Bedeutung der alten, auf das Schloßareal zulaufenden Straßen weg.“ Bereits die 1962 in der Deutschen Architektur vorgestellte Konzeption, bei der es sich um eine Überarbeitung des 1960 durchgeführten Zentrumswettbewerbs handelte, sah einen Gebäudekomplex vor, dessen nord-westlicher Abschluss im Bereich des späteren „Staudenhofs“ hätte liegen sollen. Auf der Politbürovorlage von 1968 entspricht die Planung im Wesentlichen der späteren Realisierung mit dem „Staudenhof“ als L-förmigem Gebäude und dem länglichen Komplex aus Institut für Lehrerbildung und Wissenschaftlicher Allgemeinbibliothek (2017-2018 abgerissen). Beide Gebäude sollten jedoch durch einen parallel zur Straße Am Kanal verlaufenden, später nicht verwirklichten Teil verbunden werden. Dies hätte das Ende der Sichtbeziehung vom Platz der Einheit (bis 1946 Wilhelmplatz) über die Kaiserstraße bis hin zum Alten Markt bedeutet.

Hat sich der Begriff „Staudenhof“ maßgeblich für das Wohnhaus am Alten Markt 10 etabliert, bezeichnet er eigentlich die nach Entwürfen der Gartenarchitektin Hiltrud Berndt angelegte Grünanlage, die sich bis 2019 westlich des Gebäudes befand und – anders als in der Politbürovorlage – den Durchblick vom Alten Markt in Richtung Norden nicht versperrte. Mit der anstelle der Kaiserstraße terrassenförmig angelegten Anlage sollte ein „repräsentatives Glied einer städtebaulichen Grünzone vom Havelufer zum Platz der Einheit“ entstehen. Das Resultat war eine grüne Oase inmitten der Innenstadt, die sich zugleich auf die Freundschaftsinsel des Staudengärtners Karl Foerster bezog.

Der Wohnblock mit sieben Etagen verfügt auf der Nordseite über einen zweigeschossigen Sockelbau (Sparkasse/Apotheke), der unterhalb des Wohnriegels (dessen Nordfassade fünf Etagen aufweist) angeordnet ist und in Richtung Westen aus der Gebäudeflucht hervortritt. Der somit auf der Ostseite überstehende Gebäudeteil ist an dieser Stelle aufgeständert. So wird der Eindruck erweckt, der Sockelbau und der darüber liegende Wohnbereich seien gegeneinander verschoben.

Die Aufständerung mittels nach innen abgeschrägter Betonpfeiler lässt Ähnlichkeiten zu in den 1950er und 1960er Jahren entstanden Gebäuden der Nachkriegsmoderne in Ost und West erkennen. Sowohl die Fassaden des Sockelbaus als auch die des Wohnriegels darüber weisen neben ihrer symmetrischen Gestaltung eine Struktur von deutlicher Plastizität auf. Während der großflächig verglaste Sockel vertikal und horizontal durch filigrane Metallrahmen und Farbglaselemente gegliedert wird, wirkt die Fassade des Wohnriegels massiver. Diese ist von einem Raster bestimmt, das horizontal durch Brüstungsgesimse strukturiert ist. Diese bestehen aus jeweils zwei schmalen gegeneinander angeordneten L-förmigen Betonelementen. Zur horizontalen Fassadengliederung gehören zudem darüberliegende paarweise angeordnete Fenster.

Der obere Abschluss der Fassade erfolgt durch Betonplatten, die etwa der Fensterhöhe entsprechen. Die vertikale Gliederung der fünf Wohngeschosse erfolgt abwechselnd durch helle, übereinanderstehenden Betonplatten sowie durch ebenfalls übereinander angeordnete bläuliche Farbglaselemente. Unterbrochen wird die vertikale Gliederung ausschließlich durch die L-förmigen Brüstungsgesimse. Immer zwei von diesen bilden durch ihre Form zusammen mit den verschiedenen vertikalen Gliederungselementen – aus unterschiedlicher Perspektive – jeweils ein T-Muster in der Fassade. Prinzipiell wird diese Fassadengestaltung auch an den seitlichen Fassaden westlich und östlich des nach Süden in Richtung Alter Markt abknickenden Baukörpers aufgegriffen. Während die Fenster auf der Nordseite plan mit der Fassade abschließen, öffnen sich die Wände im Westen und Osten zugunsten von ,Loggien‘.

Die Westseite tritt außer an den Ecken hervor und verfügt über fünf Wohngeschosse über Funktionsräumen. Die Ostseite zeigt sieben Wohngeschosse. Eine Besonderheit stellt hier das verglaste Treppenhaus dar, das von einer Verkleidung aus Sandstein eingefasst wird. Aus diesem Material sind zudem auch die Seiten des nördlichen Sockelbaus, wohingegen die Seitenfassaden des Wohnriegels aus grauen Betonplatten bestehen. Hier ist das Fugenraster der seriellen Vorfertigung besonders deutlich auszumachen. Als Lochfassade aus Tafelelementen zeigt sich die Stirnwand des südlichen Gebäudeteils in Richtung Nikolaikirche.

Im Jahr 2012 wurde der Abriss des „Staudenhofs“ aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem Leitbautenkonzept für die Potsdamer Mitte beschlossen. Bis ins Jahr 2022 genießt das Gebäude jedoch Bestandsschutz. Eine Einordnung in die neue alte Mitte erscheint problematisch, da es sich städtebaulich nicht in das Ensemble der rekonstruierten „historischen“ Bauten im Bereich des Alten Marktes integriert. Dennoch nimmt das Wohnhaus eine architektonische Ausnahmestellung innerhalb der „Ostmoderne“ ein, die bei der Diskussion um Abriss oder Erhalt mitbedacht werden sollte.

Der Text basiert auf: Atreju Allahverdy, Stefan Grüll, Juliane Johannsen, Christian Klusemann: Wohnblock Am Alten Markt 10 (Staudenhof), in: Christian Klusemann (Hrsg.): Das andere Potsdam – 26 Bauten und Ensembles aus den Jahren 1949–1990, Berlin 2016, S. 201–206 und wurde von Christian Klusemann im November 2022 aktualisiert.